Die deutsche Wirtschaft ist anfällig für Handelskonflikte, Naturereignisse wie Erdbeben, Tsunamis etc. oder jetzt ganz aktuell die Ausbreitung des Coronavirus. Lesen Sie, welche Risiken auf Einkauf und Supply Chain Management zukommen. Und wie die Industrie darauf reagieren muss.
Die Deutsche Bundesbank warnt in ihrem Februar-Bericht vor neuen Konjunkturrisiken induziert durch die Ausbreitung des Coronavirus. Es sei damit ein neues Risiko hinzugekommen neben den nach wie vor ungelösten globalen Handelskonflikten. Ein vorübergehender Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in China werde die deutschen Exporte dämpfen. Zudem könnten globale Wertschöpfungsketten durch die von der chinesischen Regierung getroffenen rigorosen Sicherheitsvorkehrungen beeinträchtigt werden. Dies würde hierzulande zu Lieferengpässen in einzelnen Branchen führen. Das öffentliche Leben sei in China seit Mitte Januar 2020 weitgehend lahmgelegt. Die Wachstumseinbußen könnten deutlich höher ausfallen als während der Sars-Epidemie von 2002/2003, bei der die Zahl der Infizierten deutlich kleiner war und die Behörden auch weniger rigoros reagierten. Sollte die chinesische Regierung damit allerdings keinen Erfolg haben, so dürfte das Coronavirus nicht nur als vorübergehendes Störfeuer wirken, sondern zu einem tiefen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Schock in der ganzen Welt führen. Diesen Schock zu überwinden könnte Jahre kosten.
Wo liegen die Gefahren der Corona-Krise für die deutsche Wirtschaft?
Die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise schlagen für die deutsche Wirtschaft über drei Wege durch:
Erstens leidet unter den Quarantänebedingungen in China (jetzt auch in Italien) die Nachfrage nach deutschen Produkten. Dieser Effekt ist schon spürbar, zumal China Deutschlands wichtigster Handelspartner ist.
Zweitens versiegt der Nachschub von Vorprodukten insbesondere aus China möglicherweise aber demnächst auch aus europäischen Ländern. Erste Versorgungsengpässe sind schon zu beobachten. Sie dürften sich in naher Zukunft verstärken.
Drittens kann die Aufregung um das Coronavirus enorme Vertrauensschäden hervorrufen, und die ohnehin schon angeschlagene Investitionsbereitschaft der Unternehmen noch weiter reduzieren.
Nach Angaben des ifo-Institutes sind die deutschen Exporterwartungen im Februar 2020 bereits auf minus 0,7 Punkte abgerutscht – Tendenz weiter abwärts. Somit muss man wohl nicht zuletzt wegen der Corona-Krise für die nächsten Monate mit einer Stagnation der deutschen Konjunktur rechnen.
Was sind die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft?
In der globalisierten arbeitsteiligen Welt, in der die Komponenten für ein etwa in Deutschland oder in einem anderen westlichen Industrieland zusammengebautes Endprodukt aus mehr als 100 Ländern rund um den Globus mit langen Logistikketten stammen, kann eine Disruption, in Produktion und Logistik, wie sie beispielsweise durch eine Pandemie ausgelöst wird, das reichlich anfällige Räderwerk empfindlich stören.
Natürlich gibt es nach einer Epidemie Rebound-Effekte, aber diese werden auf sich warten lassen. Ein Vergleich mit der Sars-Epidemie 2002/03 hinkt, denn die wirtschaftliche Bedeutung Chinas ist seitdem sehr stark gewachsen. Damals steuerte die chinesische Volkswirtschaft gerade einmal 5 % zum Welthandel bei. Heute ist China die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Das Reich der Mitte ist Werkbank und Zulieferer aber auch ein immer wichtiger werdender riesiger und in den vergangenen Jahren rasch wachsender Absatzmarkt nicht zuletzt für deutsche Produkte. Chinas Anteil am Welthandel ist auf rund 13 % gestiegen. Wenn dieser Wachstumsmotor stottert, hat dies gravierende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.
Die chinesische Regierung greift bei Quarantäne- und vorbeugenden Vorsichtsmaßnahmen hart durch. In der Folge sorgt die Corona-Epidemie erstmals wieder nach Pest, Cholera und Spanischer Grippe – also Epidemien, die längst vergessen schienen – wieder für Produktionsausfälle in einer Schlüsselregion der Weltwirtschaft. Der Einkaufsmanagerindex für China fiel im Februar 2020 nach dem Coronavirus-Ausbruch auf ein Allzeit-Tief von 35,7 nach 50 im Januar.
Viele westliche Unternehmen, die in den letzten Jahren voll auf die China-Karte setzten, werden jetzt von zwei Seiten in die Zange genommen: Sie müssen um ihre Lieferketten bangen und werden parallel dazu auf einem ihrer wichtigsten Absatzmärkte kalt erwischt. Das China-Geschäft von Adidas, Puma und Nike sowie von Starbucks brach bereits dramatisch ein, auch das Geschäft der deutschen Autobauer, die jedes dritte Modell in China verkaufen, fällt momentan in sich zusammen.
Welche Risiken kommen auf Einkauf und Supply Chain Management zu?
Die Corona-Epidemie zeigt dezidiert die Schwachstellen der global vernetzten filigranen Supply Chains auf: Die Unternehmen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten kaum noch zu überblickende vielstufige Lieferketten aufgebaut und waren stolz darauf, dass sie diese auch dank der Digitaltechnologien eng und quasi ohne kostenintensive Sicherheitspuffer steuern konnten. Das JIT-Prinzip in Verbindung mit Single Sourcing wurde über Jahre hinweg als alternativloses Erfolgsprinzip hochgepriesen. Die Unternehmen konnten so Bevorratungskosten sparen und machten sich zudem beim Global Sourcing die Vorteile von – wie wir heute im Zeitalter der Dekarbonisierung wissen – viel zu niedrigen Logistikkosten zunutze. Dabei wurde jedoch übersehen, wie anfällig solche eng getakteten Supply Chains sind. Die Corona-Epidemie macht überdeutlich, dass de facto Schönwetter-Strategien realisiert wurden. Daher sind die globalen Lieferketten, die keine Unterbrechungen aufzufangen vermögen, heute die Achillesferse. Dies wurde viel zu lange ausgeblendet.
Die Faktenlage in China: Bereits geschlossene Fabriken werden aufgrund der Quarantänebestimmungen der Behörden nur sehr langsam wieder hochgefahren – und das auch nur mit reduzierter Belegschaft. Nach chinesischen Angaben sind Ende Februar rund 50 % der Arbeiter zurück an ihren Arbeitsplätzen. Die meisten chinesischen Zulieferer arbeiten daher nicht mit voller Kapazität. So kann es nicht verwundern, dass der chinesische Index Exportaufträge im Februar auf das Niveau von 28,7 und damit um 20 Punkte gegenüber dem letzten Monat gefallen ist wegen annullierter oder verschobener Aufträge. Zum Teil verzögern sich auch wegen der Reisebeschränkungen die Freigabeinspektionen, was die Lieferungen nach Europa weiter behindert. Hinzu kommen logistische Probleme innerhalb Chinas, die die dort praktizierte kostenoptimierte Verbundproduktion etwa der BASF über die Provinzen hinweg sehr erschweren. Geschlossene Grenzen machen dem Transport auf dem Landwege zu schaffen; die Abwicklung in den Häfen funktioniert wegen Personalmangels nicht mehr im gewünschten Maße. Sollte es zu einer Pandemie kommen, so werden sich die Probleme multiplizieren. Selbst in Europa wäre dann mit einer zeitweisen Aussetzung der Schengen-Regelung und schlimmer noch Produktionsstopps zu rechnen, die auch die scheinbar sicheren europäischen Lieferketten belasten würde.
Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Rohstoffpreise?
Man mag es kaum glauben: Die Corona-Krise hat für Einkäufer vordergründig auch Vorteile. Die meisten Rohstoffpreise fallen seit Wochen kontinuierlich, weil der größte Nachfrager China deutlich weniger abnimmt.
Die Ölpreise sind im Sinkflug, weil nach Schätzungen chinesischer Energieexperten der Ölverbrauch des Reiches der Mitte infolge des Rückgangs der Reise- und Industrieaktivitäten im Februar um rund 25 % sank. Der Preis für Brent Rohöl fiel Anfang März auf 51 US$ pro Barrel. Deutliche Rückgänge sind auch bei Erdgas zu beobachten; hier drohen chinesische Importeure damit, bis zu 70 % der Gasimporte zu annullieren. China ist der weltweit zweitgrößte Flüssiggasimporteur. Auch hier sind die Preise auf ein Rekordtief gefallen.
Bei den NE-Metallen, bei denen China ebenfalls einer der Hauptabnehmer ist, ist die Entwicklung ganz ähnlich. Die chinesischen Importeure haben um Stornierung und/oder spätere Lieferung von Kupfer bei den chilenischen und nigerianischen Minen auch unter Hinweis auf Force Majeure gebeten und setzen damit den Kupferpreis unter Druck.
Ganz anders verhält es sich bei den Preisen von in China geförderten Rohstoffen wie Mangan, Silizium, Molybdän und Wolfram: Sie steigen. So stieg der Preis für Manganflocken in Europa seit Mitte Januar um 44 %. Manganproduzenten im chinesischen „Mangan-Delta“ Hubei, Yunnan und Shaanxi sind durch Schließungen besonders betroffen. Einige Produzenten haben mittlerweile wieder die Produktion angefahren, jedoch mit stark verminderter Auslastung. Durch die bestehenden Einschränkungen im Waren- und Personenverkehr sowie der Ausgangssperre in einigen Regionen fehlt es den Unternehmen an Arbeitskräften. Für einige Manganproduzenten ist die Wiederaufnahme erst für März geplant, für andere hingegen steht noch kein genauer Termin fest. Bei anderen Rohstoffen wie Molybdän oder Wolfram ist die Situation ähnlich. So beträgt die Auslastung chinesischer Wolframproduzenten, die die Produktion wieder anfahren konnten, nur rund 30 %.
Was sollten Einkäufer und Supply Chain Manager in der Corona-Krise tun?
Leider sind die meisten Unternehmen gar nicht auf die aktuelle Krise vorbereitet. Sie befinden sich jetzt im Krisenmodus. Was ist kurzfristig zu tun? Es muss ein Krisenstab gebildet werden, der alle Maßnahmen pragmatisch koordiniert. Dieser Stab sollte die gesamte Supply Chain über alle Stufen hinweg auf Risiken checken. Die Läger sollten – soweit noch möglich – aufgefüllt werden. Mit den Zulieferern muss gesprochen werden. Knappe Vorprodukte müssen effizient genutzt werden. Die Eigenfertigung hierzulande sollte – wenn möglich – wieder hochgefahren werden. Zudem müssen Prioritäten für die Verwendung der knappen Vorprodukte für die besonders wichtigen Kundenaufträge festgelegt werden. Mit befreundeten Unternehmen sollte zusammengearbeitet werden.
Was ist mittelfristig zu tun? Die gesamte Supply Chain muss auf den Prüfstand gestellt werden angesichts der zunehmenden Risiken für die Lieferketten wegen Pandemien, Klimawandel und Protektionismus. In diesem Umfeld bedarf es digital gestützter Risikomanagement-Systeme, die frühzeitig vor sich anbahnenden Nachschubstörungen warnen. Rechtzeitig erkannte Risiken sind schon halb gemanagte Risiken.
Fazit
In die Neustrukturierung der Supply Chains müssen Risikoüberlegungen von Anfang an einbezogen werden. Dabei sollte man auch Vorräte nicht nur als totes Kapital sehen. Sicherlich muss auch über den Grad der globalen Aufstellung nachgedacht werden und das Prinzip „local for local“ stärker in den Fokus rücken. Die aktuelle Corona-Krise könnte sich – wenn sie nicht zu lange anhält – als heilsamer Schock erweisen, die Supply Chains wetterfest zu machen. Damit wäre viel gewonnen.
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